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Georg Salter

Buchdesigner in Berlin, 1922 - 1934

Schutzumschläge als historische Quellen. Ein Beispiel

Veröffentlicht am 16.09.2017

"Der Umschlag ist zweifellos das vergänglichste Werbemittel. Ein Mensch mit Geschmack wird ihn stets abnehmen, wenn er das neuerworbene Buch seiner Bücherei einverleibt." Diesen Gedanken aus der Fachliteratur der 1920er Jahre (Erhard Wittek, Das Buch als Werbemittel, Leipzig 1926, S.36) haben wir in diesem Blog schon öfter thematisiert. Wenn Schutzumschläge aus jener Zeit so selten sind, ist das wesentlich darauf zurückzuführen, dass erst in den letzten Jahrzehnten Umschläge von der Mehrheit der Kunden weniger als vorübergehende Verpackung denn als fester Bestandteil des Buches behandelt werden. Viele öffentliche Bibliotheken sind nicht zuletzt aus arbeitsorganisatorischen Gründen übrigens bis heute der gegenteiligen Auffassung und entfernen den losen Schutzumschlag im Zuge der Einarbeitung. Die Folge ist, dass wichtige Informationen zu Autorin bzw. Autor, Verlagsprogramm und Entstehungsprozess des Buches verloren gehen können.

Ein Beispiel aus Salters Arbeiten mag dies veranschaulichen. Unter dem Titel "Die Herzogin von Guermantes" erschien 1930 im Piper-Verlag der dritte Teil von Marcel Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Die ersten beiden Teile waren noch im Verlag Die Schmiede erschienen, seit dem zweiten Teil erarbeiteten Walter Benjamin und Franz Hessel die deutsche Übersetzung. Die "Herzogin von Guermantes" in der deutschen Erstausgabe kann man heute in einer roten und in einer naturfarbenen Einbandvariante erhalten.

Marcel Proust, Die Herzogin von Guermantes. Piper, 1930Marcel Proust, Die Herzogin von Guermantes. Piper, 1930

Während es in anderen Fällen durchaus vorkommen kann, dass spätere Bindequoten deutlich von der ursprünglichen Gestaltung abweichen, da mangels originaler Einbanddecken kurzerhand ein mehr oder weniger kunstvoller Ersatz nachgefertigt wurde, ist das Verhältnis der beiden Varianten hier keineswegs klar. Der rote Einband ist mit dem aufgeklebten Lederrückenschild und den Vergoldungen aufwendiger, jedoch enthält auch der naturfarbene mit den stilisierten Autoreninitialen, der Rückeneinteilung und den verwendeten Schriften alle wesentlichen originalen Gestaltungsmerkmale. Welcher ist also der frühere und entspricht damit Georg Salters ursprünglicher Idee? Oder sind beide Varianten von vornherein als Alternativen gedacht gewesen und damit parallel entstanden?

Das Impressum und das sonstige Buchinnere geben auf diese Fragen keinerlei Hinweise. Weiter gelangt man in derlei Fällen deshalb tatsächlich oft nur mit den Schutzumschlägen, die im Vergleich zum Beispiel unter den Verlagsanzeigen dieselben Werke in unterschiedlichen Auflagen bewerben oder später erschienene Neuerscheinungen aufführen oder vermissen lassen. In unserem Fall bestärkt bei sonst völlig identischem Erscheinungsbild ein kleiner Stempel die Vermutung, dass der rote Einband der ursprüngliche ist. Während beim Schutzumschlag des roten Einbands ein lobendes Zitat Alfred Kerrs noch mit dessen Namen versehen ist, wurde auf dem Umschlag des naturfarbenen zwar das Zitat belassen, jedoch das Andenken an den Urheber getilgt. Wenn man angesichts der sorgfältigen Ausführung des Überstempelns davon ausgeht, dass die Tilgung nicht nachträglich, sondern bereits während des Produktionsprozesses erfolgt ist, darf auf eine Auslieferung der naturfarbenen Variante nach 1933 geschlossen werden.  Der einflußreiche jüdische Literaturkritiker Alfred Kerr war eines der ersten Opfer der nationalsozialistischen "Kulturrevolution". Im Februar 1933 aus Deutschland geflohen, wurden bald darauf seine Bücher verboten und stand er auf der ersten Ausbürgerungsliste des neuen Deutschen Reiches. Beispiele von Damnatio Memoriae auf Schutzumschlägen wurden für Autoren wie für Buchgestalter hier ebenfalls schon behandelt. Erinnert sei an die Löschung von Salter Signatur beim Paul Franke Verlag oder die nachträgliche Überklebung von Autorenwerbung beim Verlag S. Fischer. In der Literatur- und Verlagsgeschichtsschreibung sind diese Vorgänge selten bekannt - wegen fehlender Schutzumschläge bzw. umfassender Schutzumschlag-Sammlungen.